Ein feuchter, unromantischer Abend

13 Apr

Heiße Küsse, Voyeurismus, Körperkontakt, wechselnde Partner, Speichel..

Klingt nach einem spannenden Abend? Irgendwie schon, und doch sind die Meinungen der Zuschauer nach der Aufführung des Stücks „Romantic Afternoon“ von Verena Billinger und Sebastian Schulz sehr unterschiedlich. Der Grund dafür: Eine Idee, die so lange gedehnt wird, bis sie am Ende ihre Wirkung verliert, ist bei Billinger und Schulz  Konzept.

Zunächst wird Spannung erzeugt. Spannung im Raum dazwischen, Spannung, die beinahe greifbar ist. Da stehen zwei Menschen voreinander, die sich küssen wollen. Ihre Intention ist deutlich zu spüren.

Zehn Sekunden später folgt dann jedoch sogleich der Kern der Performance: Das erste Paar küsst sich. Man sieht einen Hinterkopf und hört Schmatzgeräusche. Dann das beginnt nächste Paar. Einer der Schauspieler küsst die Luft vor sich und sieht dabei so aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die übrigen Performer sehen zeitweise gespannt zu, zeitweise küssen sie selber Luft. Oder sie suchen den nächsten Partner. Langsam schiebt sich auch das eine oder andere Bein an das nächste, verhakt sich. Die sechs Menschen auf der Bühne beginnen, sich zu drehen, zu tanzen, sich auf den Boden zu legen. Fließender Partnerwechsel.

Als das Licht ausgeht, wird die Atmosphäre romantischer, die Paare verdrücken sich an den Rand der Bühne. Die Bewegungen scheinen sich zu verlangsamen und man bekommt für einen Augenblick den Eindruck, die Schauspieler würden das Rumgeknutsche genießen. Sogleich fühlt man sich im Pubikum wohler, die Atmosphäre scheint angemessener.

Doch das Licht geht schon nach ein paar Minuten wieder an und es wird weiter geküsst. Immer mehr erinnert die Performance an Contact-Improvisationstanz. Seltsame Posen entstehen, irgendwann robben alle einmal auf dem Boden herum und berühren sich. Die Schauspieler formen ein Kneul, in dem jeder willkürlich irgendwelche Körperteil küsst. Es werden Hosen getauscht. Einige Lacher aus dem Publikum machen deutlich, wie absurd der „Romantic Afternoon“ bisweilen wirkt.

Zum tobenden Höhepunkt werden die Küssenden lauter, heftiger, strampeln mit den Beinen. Dann halten sie inne, atmen heftig…

Als Zuschauer spürt man: Die wollen sich gar nicht wirklich. Von dem Drang, jemanden nah zu sein, ist nichts zu spüren. Ein Mädchen im Publikum streicht Ihrem Freund über den Rücken, „Es ist bald aus.“ Eine Dame sieht sich unsicher unter den Zuschauern um.

Das fehlende Verlangen ist es, was es unangenehm macht, den Küssenden zuzuschauen. Der theatrale Moment, indem Gefühle und Intentionen auf den Zuschauer überspringen, äußert sich äußerst seltsam: In Eckel, Unsicherheit, Ablehnung.

Abschließend wird das Absurde nocheinmal auf die Spitze getrieben, durch eine alberne Videoclip-Choreografie, während der weiterhin geküsst wird. Die Schauspieler lachen und scheinen zu sagen „Ja, die Performance soll genauso sein wie sie ist.“

Man hätte viel mit Langsamkeit arbeiten können, man hätte mehr Spannung erzeugen können, mehr wirkliche Nähe. Doch stattdessen wird Oberflächlichkeit demonstriert, Austauschbarkeit. Oder der kleine Moment, indem man jemanden küsst, und mit den Gedanken ganz woanders ist. „Wenn man einen neuen Partner küsst, ist dieser immer im ersten Moment ein bisschen fremd. Wir arbeiten mit den Körpern wie mit Material“, sagt die Tänzerin Jungyun Bae aus Gießen, die in dem Stück mitspielt.

Im Zuschauer schreit alles nach Tiefe, nach Auseinandersetzung mit dem, was gezeigt wird… nach Gefühlen. Man hofft, dass sich einige der Personen mögen, andere nicht. Man glaubt Geschichten zu erspüren. Ob es eine Liebesbeziehung unter den Schauspielern gab? „Nein.“ Eine Affäre? Jungyun Bae lacht.

Doch die Schauspieler sind gut genug, um alles zu umnebeln, was an persönlichen Gedanken und an gefühlter Nähe zugegen sein könnte. Zurecht, wäre doch in dem Moment, indem diese wahre Tiefe entstünde, die Aussage des Stückes gebrochen.
Hier geht es nicht um die Gefühle der Küssenden, sondern um die Gefühle der Zuschauer. Was denke ich, wenn ich 6 Menschen eine Stunde lang beim küssen zusehe? Was bedeutet Küssen für mich? Stellen sich Körper und Geist beim Küssen auf einen anderen Menschen ein? Inwieweit lassen ich mich fallen, wieviel innerliche Distanz bleibt?

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