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Betreten auf eigene Gefahr- Wolfsbau im Brut

13 Apr


Wer diese Woche das Brut betritt, wundert sich vielleicht, warum nun in der Ecke  ein großer Haufen aus  Blättern und Erde liegt, und wird diesem Umstand weiter keine Beachtung schenken. Stattdessen wird man sich vielleicht der Wandzeitschrift „Exilant-Öffentlich versteckt“ zuwenden, ein bisschen schmökern..

So geht es mir, während ich im Brut auf die 21 Uhr Vorstellung warte. Vertieft in die Zeitschrift, zerrt dann auf einmal ein zartes Gejaule meine Aufmerksamkeit zurück in den Raum. Leicht verwundert blicke ich zurück zum Erdhaufen, von dem die Geräusche offensichtlich ausgehen.

Beim genauen Betrachten bemerke ich dann, dass der Dreckhaufen einen Eingang besitzt. Daneben steht ein Fernseher, der scheinbar das Innere der Höhle zeigt. Hunde, nein, Wölfe, die ihr Zuhause miteinander teilen. Jaulende Babies, eine Wolfsmutter.

Doch halt, es gibt noch etwas zu entdecken: Die säugende Mutter hat menschliche Brüste, einen menschlichen Körper… Und ob es sich bei den Babies um echte Wolfsbabies handelt, dessen bin ich mir dann bald auch nicht mehr so sicher.

Mir wir klar, dass ich gerade die „Wolfsbau-Installation“ zum Thema des Stückes „Furry Species“ ansehe. Süß irgendwie. Ich kämpfe ein wenig mit mir, dann blicke ich doch in den Höhleneingang, obwohl der offensichtlich zu klein ist, um ein Publikum zu fassen. Klar, dass dort nicht wirklich eine nackte Frau mit Wolfsmaske drin sitzt und wartet, dass man sie besucht. Aber sicher sein möchte ich trotzdem irgendwie.

Während sich der Raum füllt, gibt es weitere verwunderte Blicke in den Höhleneingang. Den Besuchern stehen Fragen ins Gesicht geschrieben wie „Hat mich jetzt jemand dabei beobachtet, wie ich da hinein geschaut habe?“ und „Was ist das?“

Während der Raum sich weiter füllt, geht das Wolfsgejaule dann langsam im Gesprächslärm unter.

Ein feuchter, unromantischer Abend

13 Apr

Heiße Küsse, Voyeurismus, Körperkontakt, wechselnde Partner, Speichel..

Klingt nach einem spannenden Abend? Irgendwie schon, und doch sind die Meinungen der Zuschauer nach der Aufführung des Stücks „Romantic Afternoon“ von Verena Billinger und Sebastian Schulz sehr unterschiedlich. Der Grund dafür: Eine Idee, die so lange gedehnt wird, bis sie am Ende ihre Wirkung verliert, ist bei Billinger und Schulz  Konzept.

Zunächst wird Spannung erzeugt. Spannung im Raum dazwischen, Spannung, die beinahe greifbar ist. Da stehen zwei Menschen voreinander, die sich küssen wollen. Ihre Intention ist deutlich zu spüren.

Zehn Sekunden später folgt dann jedoch sogleich der Kern der Performance: Das erste Paar küsst sich. Man sieht einen Hinterkopf und hört Schmatzgeräusche. Dann das beginnt nächste Paar. Einer der Schauspieler küsst die Luft vor sich und sieht dabei so aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die übrigen Performer sehen zeitweise gespannt zu, zeitweise küssen sie selber Luft. Oder sie suchen den nächsten Partner. Langsam schiebt sich auch das eine oder andere Bein an das nächste, verhakt sich. Die sechs Menschen auf der Bühne beginnen, sich zu drehen, zu tanzen, sich auf den Boden zu legen. Fließender Partnerwechsel.

Als das Licht ausgeht, wird die Atmosphäre romantischer, die Paare verdrücken sich an den Rand der Bühne. Die Bewegungen scheinen sich zu verlangsamen und man bekommt für einen Augenblick den Eindruck, die Schauspieler würden das Rumgeknutsche genießen. Sogleich fühlt man sich im Pubikum wohler, die Atmosphäre scheint angemessener.

Doch das Licht geht schon nach ein paar Minuten wieder an und es wird weiter geküsst. Immer mehr erinnert die Performance an Contact-Improvisationstanz. Seltsame Posen entstehen, irgendwann robben alle einmal auf dem Boden herum und berühren sich. Die Schauspieler formen ein Kneul, in dem jeder willkürlich irgendwelche Körperteil küsst. Es werden Hosen getauscht. Einige Lacher aus dem Publikum machen deutlich, wie absurd der „Romantic Afternoon“ bisweilen wirkt.

Zum tobenden Höhepunkt werden die Küssenden lauter, heftiger, strampeln mit den Beinen. Dann halten sie inne, atmen heftig…

Als Zuschauer spürt man: Die wollen sich gar nicht wirklich. Von dem Drang, jemanden nah zu sein, ist nichts zu spüren. Ein Mädchen im Publikum streicht Ihrem Freund über den Rücken, „Es ist bald aus.“ Eine Dame sieht sich unsicher unter den Zuschauern um.

Das fehlende Verlangen ist es, was es unangenehm macht, den Küssenden zuzuschauen. Der theatrale Moment, indem Gefühle und Intentionen auf den Zuschauer überspringen, äußert sich äußerst seltsam: In Eckel, Unsicherheit, Ablehnung.

Abschließend wird das Absurde nocheinmal auf die Spitze getrieben, durch eine alberne Videoclip-Choreografie, während der weiterhin geküsst wird. Die Schauspieler lachen und scheinen zu sagen „Ja, die Performance soll genauso sein wie sie ist.“

Man hätte viel mit Langsamkeit arbeiten können, man hätte mehr Spannung erzeugen können, mehr wirkliche Nähe. Doch stattdessen wird Oberflächlichkeit demonstriert, Austauschbarkeit. Oder der kleine Moment, indem man jemanden küsst, und mit den Gedanken ganz woanders ist. „Wenn man einen neuen Partner küsst, ist dieser immer im ersten Moment ein bisschen fremd. Wir arbeiten mit den Körpern wie mit Material“, sagt die Tänzerin Jungyun Bae aus Gießen, die in dem Stück mitspielt.

Im Zuschauer schreit alles nach Tiefe, nach Auseinandersetzung mit dem, was gezeigt wird… nach Gefühlen. Man hofft, dass sich einige der Personen mögen, andere nicht. Man glaubt Geschichten zu erspüren. Ob es eine Liebesbeziehung unter den Schauspielern gab? „Nein.“ Eine Affäre? Jungyun Bae lacht.

Doch die Schauspieler sind gut genug, um alles zu umnebeln, was an persönlichen Gedanken und an gefühlter Nähe zugegen sein könnte. Zurecht, wäre doch in dem Moment, indem diese wahre Tiefe entstünde, die Aussage des Stückes gebrochen.
Hier geht es nicht um die Gefühle der Küssenden, sondern um die Gefühle der Zuschauer. Was denke ich, wenn ich 6 Menschen eine Stunde lang beim küssen zusehe? Was bedeutet Küssen für mich? Stellen sich Körper und Geist beim Küssen auf einen anderen Menschen ein? Inwieweit lassen ich mich fallen, wieviel innerliche Distanz bleibt?

Furry Species- Schauerlich wahr

10 Apr


(Grafiken von Kirasoftware.com/ Hunde ähneln ihren Besitzern)

Kennen sie diese Situationen, in denen man Menschen verstohlen anstarren muss, weil sie einem Tier, oft sogar ihrem eigenen Hund verblüffend ähneln?

So ergeht es sicher einigen Zuschauern von Corinna Korths Stück „Furry Species“. Voller Absicht, lässt sie sich doch auf der Bühne zum Hybridwesen umoperieren. Zunächst erklärt sie dem Publikum die Vorteile von Tieren gegenüber Menschen. Der Mensch sei durch die Technik genetisch geschwächt, Tiere hingegen würden besser sehen, mehr riechen und besser hören.

Wer also bei dem Thema Schönheits-OP an Brustvergrößerung und Facelift denken muss, dem wird der Horizont durch Frau Korth gesprengt. Um weiterhin von sich behaupten zu können, an der Spitze der Evolution zu stehen, soll der Mensch seine Gene laut Frau Korth mit denen der Tiere kombinieren.

Gentechnik, Schönheits-Ops, der Mensch als der Spitze der Evolution- der „Hybridin“ gelingt es gleich auf mehreren Ebenen zum Nachdenken anzuregen, nicht jedoch ohne eine gehörige Portion Humor.

Schon der Einstieg in das Stück „Furry Species“ ist sehr amüsant, Corinna Korth illustriert mit dem Beamer den Prozess der Werwolfwerdung anhand von Filmausschnitten. In gekonnt trockenem- pseudowissenschaftlichem Vortragsstil stellt sie dann das IHF vor, das „Institut für Hybridforschung“. Dabei lernt das Publikum ihren „Kollegen“ kennen, angeblich eine Mischung aus Wolf und Hund, sowie Dr. Dr. Hohl und einige weitere dubiose Mitarbeiter.

Nachdem sie die Zuschauer des Stückes als Interessenten der Hybridwerdung adressiert, demonstriert sie die einzelnen Schritte der Tier-Mensch-Wesensveränderung. Dabei schafft es Frau Korth, selbst eine Operation vor dem Publikum nicht abgedroschen wirken zu lassen. Während im Hintergrund Röntgenvisuals abgespielt werden, wird das Publikum desinfiziert und später beinahe mit Blut aus einer Spritze besprüht, während Frau Korth ein Schwanz angenäht wird.

Lediglich die Starwars-ähnlichen Figuren (eine Mischung aus Chewbacca und Darth Vader), die nach der OP-Spritze mit pathetischen Gesten und esoterischem Gesang auf die Leinwand projiziert werden, wären nicht unbedingt von Nöten gewesen. Tatsächlich bekennt sich Frau Korth dann aber mit einigen intelligenten Wortspielen und der Rückseite ihres Shirts zu einigen offensichtlichen Star Wars Anspielungen. Spätestens als am Ende ihr Vierbeiner gemeinsam mit ihr „We can be wolfs“ anstelle von „We can be heros“ heult, ist man wieder vollkommen versöhnt.

Wer nun denkt, dass diese Geschichte sich nur im Theater abspielt, dem sei nun die Illusion zerstört. Tatsächlich thematisiert Frau Korth ein ethisches Grenzgebiet, denn es ist einigen Wissenschaftlern laut „National Geographic“ tatsächlich gelungen, die Zellen von Mensch und Tier miteinander zu verbinden. Bleibt bei allem Lob an die avantgardistische Frau Korth nur zu hoffen, dass uns demnächst nicht auch Frankenstein auf der Straße begegnet…

Hier noch einige interessante- bis schauerliche Links zum Thema: