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DAS GEGENTEIL VON GUT IST GUT GEMEINT…..

14 Apr

LAURA KALAUZ UND MARTIN SCHICK

CMMN SNS PRJCT

Der sensus communis (engl. common sense), dessen Bedeutung seinen Ursprung bei Aristoteles hat, ist seit der Antike ein immer wieder aufgegriffenes Thema in der Philosophie. Die Bedeutungslegung ist zwar unter den Philosophen und später auch Psychologen und Soziologen variabel, doch bezieht sich der Begriff letztlich immer auf den normativen Gemeinsinn.

Der Ausdruck „gesunder Menschenverstand“ oder auch „Hausverstand“ wie der common sense heute häufig verwendet wird geht dabei im Grundsatz von Kants Theorie der reinen Urteilskraft aus. Diese zu bewerten ist meist nicht immer einfach, da das Motiv mancher Handlungen, die als moralisch hochwertig gelten nicht immer klar ist. Wenn wir spenden, ist das zwar als wohltätig zu bewerten, doch bleibt die Frage offen, ob wir spenden weil es uns der Sinn für das Gemeinwohl sagt oder einfach um unser Gewissen zu beruhigen und uns gut zu fühlen. Denn wenn man alles hat, dann fehlt letztlich häufig nur noch das Gefühl auch ein guter Mensch zu sein, das wir mit einer kleinen Spende wie fast alles andere ganz einfach kaufen können.

Mit diesem Thema setzen sich Laura Kalauz und Martin Schick in ihrer Produktion CMMN SNS PRJCT (common sense project) auseinander. Anfangs nur in Unterwäsche bekleidet stehen die beiden Akteure vor einer mit unterschiedichen Gegenständen bestückten Theke. Auf die Frage „who wants this?“ verteilen sie die Güter an das Publikum.

Nachdem ich die Frage akustisch falsch verstanden und gemeint habe, die Frage laute „whats this?“ rufe ich erst mal heraus: „Schwämme“. Als Martin Schick mir die Spülutensilien daraufhin in die Hand drückt, erkenne ich das Missverständnis und nehme das Geschenk verlegen an. Nachdem ein Großteil der Waren auf die Zuschauer aufgeteilt ist dreht sich der Spieß um und sie fragen in die Menge ob nicht jemand ein T-Shirt, eine Hose, Schuhe, Krawatte etc. für sie habe. Sei es nun leihweise für etwa eine Stunde oder im Sinne eines Handels gegen Geld. Mit den Kleidern der Theaterbesucher ausgestattet beginnt nun die Demonstration der Geldvermehrung.

Aufgrund einer blutenden Nase nach einem Schlag seiner Kollegin fragt Martin Schick uns nach einem Taschentuch. Doch so großzügig er zuvor auch mit seinen Geschenken war, so steht bald fest, dass er selbst keine annimmt. Um 20 Cent will er das Taschentuch einem Besucher abkaufen. Da er jedoch kein Geld bei sich hat, borgt er sich die Münze von einer anderen Besucherin mit dem Versprechen, dieser die doppelte Menge zurückzugeben. Um dies in die Tat umsetzen zu können muss er sich jedoch wiederum von jemanden nun bereits 40 Cent borgen. Dieses Spiel setzt sich so lange fort, bis er einer Zuschauerin nun 15 Euro schuldet die er mit einem Zettel als Schuldschein erst mal zufrieden stellt.

Interessant finde ich unter anderem auch einen Dialog über Eigentum und die Frage, wann man behaupten kann, dass man der rechtmäßige Eigentümer einer Sache ist. Das Gespräch kommt zustande als Laura ihre Kaffeemaschine vermisst und im Glauben daran, dass jemand im Publikum sie habe, mit ihrem Kollegen darüber diskutiert warum sie im Recht ist, wenn sie behauptet es sei ihre Maschine. Ihr Argument, dass sie nun schon seit einiger Zeit ihren Kaffee damit brüht und somit die Rechte daran besitze bringt Martin zur Gegenfrage:“ Gehört denn die Straße in der ich wohne auch mir, weil ich sie schon seit einiger Zeit benütze?“ Und warum gehören gewisse Dinge der Allgemeinheit und manche nur einer bestimmten Person? Wo ist die Grenze zwischen öffentlichem Gut und Privatbesitz? Und wem gehört eigentlich die Welt?

Im Verlauf des Stückes kommen verschiedenste Darstellungen von Kommunikation untereinander, Gewinnspielabläufen und Aktionen des Handels die an wirtschaftliche Prozesse anlehnen zur Schau. Sei es nun eine Auktion bei der man die Rechte an ihrem Stück erwerben kann, ein Ratespiel bei dem Passagen aus Büchern oder Filmen erkannt werden müssen, der anfangs schon erwähnte Handel mit Kleidungsstücken und Gegenständen oder die Entscheidung darüber, was mit dem Geld passiert das nach einer Kostenrechnung übrig bleibt.

Was halten wir für angemessen?

Sollten die Künstler das übrig gebliebene Geld bekommen?

Wird das Geld in eine Party in Argentinien investiert?

Will das Publikum auch davon profitieren und sich auf ein Getränk in der Brut Bar einladen lassen?

Legen wir das Geld in die Mitte des Raumes und sehen was passiert wenn wir das Licht ausmachen und ein wenig warten?

Nach einer demokratischen Abstimmung kommt es schließlich zur Lösung, dass das Publikum mit seinem Gemeinsinn entscheidet, das Geld für ein Getränk an der Bar auszugeben was auch das Ende der Inszenierung darstellt.

Die Produktion von den aus Argentinien und der Schweiz stammenden Künstlern stellt interaktives Theater dar, das ohne aktive Handlungen von Seiten des Publikums nicht funktionieren würde. Wenn es auch ein allgemeines Merkmal des Theaters darstellt, dass jede Aufführung einzigartig ist, so gewinnt die Feststellung in diesem Fall noch einmal an Bedeutung, da jedes Publikum unterschiedlich auf die Interaktion reagiert und die Künstler dadurch auch spontaner reagieren müssen was Martin Schick bei einem kurzen Gespräch nach der Vorstellung auch bestätigt.
(Maria Rauch)

CMMN SNS PRJCT in Bildern

13 Apr
Gestern habe ich mir das CMMN SNS PRJCT von Laura Kalauz und Martin Schick angesehen.

Der Teaser zum Stück lautet:

CMMN SNS PRJCT beschäftigt sich mit Zwischenräumen im sozialen Beziehungsnetz. Welche Konventionen, Gewohnheiten und stillen Vereinbarungen bestimmen das menschliche Handeln und Denken im Angesicht eines Gegenübers? Laura Kalauz und Martin Schick heften sich an die Spuren des „common sense“ und gehen abseits des ökonomischen Profitgedankens neuen Verhaltenskategorien auf den Grund. In einer Ode an die Unvollständigkeit werden Zuschauer- und Bühnenraum zum Schauplatz einer Verhandlung über eingefahrene Verhaltens- und Denkweisen, in der Vertrautes und Ungewohntes aufeinandertreffen.

Da sehr viel in relativ kurzer Zeit passiert ist, werde ich keine klassische Kritik schreiben, sondern das ganze anhand von Bildern anschaulicher machen:

Laura Kalauz und Martin Schick stehen auf der Bühne. Beide tragen lediglich Unterwäsche und sehen uns, dem Publikum, beim Einnehmen der Plätze zu. Danach bieten sie uns Gegenstände an. Who wants that? Es wird seichte, fröhliche Kaufhausmusik im Hintergrund gespielt.
Who wants that?

Es sind Alltagsgegenstände. Von der Klobürste über Haarshampoo bis hin zur Teetasse und zum Toaster. Es ist alles dabei. Für beinahe jeden Gegenstand findet sich jemand im Publikum, der ihn will. Fast nichts bleibt übrig.
And this?

Die Sachen, die dann aber doch übrig bleiben, werde in Pakete verpackt. Laura erklärt, dass diese Gegenstände wieder in ihr Herstellungsland zurück gebracht werden müssen.
Post

Nachdem sie ihre Dinge verschenkt haben, möchten sie etwas vom Publikum haben: Kleidung. Martin bietet im Gegenzug Geld an. Der erste Zuschauer will seinen Gegenstand wieder zurückgeben.
Buy clothes

Laura und Martin verschwinden für einen kurzen Moment und kommen angezogen wieder zurück auf die Bühne. Sie reden über Liebe und Laura meint zu Martin: „You love talking nonsense.“
dressed

Martin geht zum Podest.
speech

„I want to share something with you …“ Beide lesen kurze Texte vor, sie zitieren, ohne den Urheber zu nennen. Nach dem Vorlesen verteilen sie die Texte im Publikum.
i want to share sth with u

Die Musik stoppt. Laura und Martin beginnen zu tanzen.
dance

Nach der etwas holprig wirkenden Tanzeinlage, beginnt eine Auktion.
auction

Unter den Hammer kommt die CMMN SNS PRJCT – Lizenz. Die Bedingungen und das Kleingedruckte werden auf eine Tafel projiziert.
contract

Martin präsentiert den Vertrag, natürlich total sexy.
contract presentation

Um 50 Euro wird dieser dann an einen jungen Mann im Publikum verkauft.
buy it?

Die beiden geben dem Publikum immer wieder Rätsel auf. Sie spielen, ohne Ankündigung, Filmszenen nach, wie beispielsweise aus “Titanic”. Das Publikum muss erraten, um welchen Film es sich handelt. Wird die Szene nicht erraten, wird diese solange wiederholt, bis das Publikum die richtige Antwort errät. Für jede richtige Antwort bekommt man ein Billet. Am Schluss wird der Gewinner des Spiels gezogen.
sexy

Abschließend wird eine Liste der Ausgaben und Einnahmen des Abends erstellt. Martin hat Schulden und für die Hose, die er von einer Dame aus dem Publikum bekommen hat, bezahlt. Nach der Kostenaufstellung steht jedoch fest, dass sie zu viel Geld haben. Sie fragen das Publikum, was mit dem Geld passieren soll. Die Gewinnerin des Spiels will alles für sich. Eine, die Kleidung geborgt hat, will nun doch Geld dafür. Ein anderer schlägt vor, dass wir an der Bar für alle Zuschauer Bier kaufen sollten.
CMMN SNS PRJCT money

Es ist absurd. Plötzlich will jeder etwas vom Kuchen haben. Es wird abgestimmt, den meisten im Publikum ist es egal. Daher legt Martin das Geld auf den Boden und geht. Einer aus dem Publikum steht prompt auf, um sich sein geborgtes Geld zurück zu holen. Ende.
CMMN SNS PRJCT in & out

„I want no debts.“
Es passiert unglaublich viel. Das CMMN SNS PRJCT lebt vom Publikum und genau das hat gestern gut gepasst. Die Leute haben sich darauf eingelassen. Sie haben mitgespielt ohne wirklich zu wissen, dass sie mitspielen. Martin will etwas haben, als sich Laura etwas wieder zurück nimmt. Laura meint: „I’ll give you something“, und gibt Martin eine Ohrfeige. Dieser blutet ein wenig und möchte ein Taschentuch aus dem Publikum haben. Ein junger Mann gibt ihm eines. Martin meint „What do you want? I want no debts.“ Er schlägt vor, 20 Cent für das Taschentuch zu bezahlen, diese muss er sich jedoch von jemand anderem im Publikum leihen. Die 20 Cent will er jedoch zurück zahlen. Aus 20 werden 50 Cent. Am Ende sind es 20 Euro.

In einer anderen Szene sprechen Laura und Martin über Ownership und zitieren aus der Bibel. Laura fragt: „My mind is not mine?“ An einer anderen Stelle machen sie den Text und das Stück selbst zum Thema.

Sehen und bestaunen
Die Performance beinhaltet viele Themen, am Ende wird der Zuschauer jedoch im Regen stehen gelassen. Viele verschiedene Aspekte werden in einen Topf geworfen, umgerührt und ausgespuckt. Das Ganze wird unterhaltsam präsentiert. Wenn man rausgeht, ist man dennoch etwas verwirrt. Es sind viele Eindrücke, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Kalauz und Schick schaffen es jedoch, das Publikum von der ersten Sekunde an zu fesseln. Man will gar nicht mehr wegsehen. Man baut eine Beziehung zu ihnen auf. Man vertraut ihnen auch. Unterhaltsam, interessant, spannend und bestimmt jeden Tag anders. Absolut sehenswert!

Mehr Fotos gibt es auf Flickr zu sehen.

Heute, 13.04, wird CMMN SNS PRJCT um 19:00 Uhr im Konzerthaus ein weiteres Mal aufgeführt.

UPDATE: (23. Mai 2011) Leider mussten die Bilder offline genommen werden.